Aus dem Alltag
Reformation: Heute in einer Bäckerei
Ich trete an den Tresen und betrachte die Auslagen. „Reformationsbrötchen“ lese ich, ach wie nett! Das an den Rändern ausgefranste Gebäckstück mit dem roten Marmeladenklecks in der Mitte soll wohl die Lutherrose darstellen!
Vielleicht habe ich mir aber an dieser Stelle auch schon mehr Gedanken um das Brötchen gemacht als sein Erfinder. Einen Euro zwanzig soll das Brötchen kosten und 20 Cent gehen als Spende an Misereor. Moment mal? Wieso Misereor? Wäre nicht Brot für die Welt hier die richtige Adresse gewesen? Das kann doch nicht wahr sein!
Bitte? sagt genau in dem Moment eine Bäckereinfachverkäuferin auf der anderen Seite des Tresens. So, sage ich. Sie bringen also ein Reformationsbrötchen heraus und spenden den Erlös an Misereor?! Das weiß ich nicht, sagt die Frau. Das steht aber da, sage ich. Ist doch gut wenn gespendet wird, sagt die Frau. Ja, sage ich, aber der Reformationstag ist der Geburtstag der protestantischen Kirche und Misereor ist das katholische Hilfswerk. Dafür kann ich nichts, sagt die Frau, Sie können sich gern an die Geschäftsstelle wenden. Und dann noch mal: Bitte, was möchten Sie?
-Ein Dinkelgoldknust, geschnitten bitte, sage ich.
-Hab‘ ich nicht mehr, sagt die Frau.
Was ist das überhaupt für eine Bäckerei, in der es morgens um 11 Uhr schon kein Dinkelgoldknust mehr gibt, denke ich.
-Was ist das überhaupt für ein Feiertag, wenn man einmal in 500 Jahren frei hat? fragt die Frau.
-Wieso einmal in 500 Jahren? Als Kind hatte ich immer noch schulfrei am Reformationstag, sage ich.
-Ich nie, sagt die Frau. Es hatten immer nur die Katholiken frei.
-Nein, protestiere ich, das ist am 1. November. Da ist Allerheiligen und das ist ein katholischer Feiertag.
-Ich muss am Dienstag auch arbeiten, sagt die Frau.
-Ja, sage ich verständnisvoll, sicher wegen der Sonntagsöffungszeiten Ihres Unternehmens.
Ich sehe ein, dass ich hier nicht weiter komme. Ein Feiertag, an dem man einmal in 500 Jahren frei HÄTTE und dann doch arbeiten muss. Ein Brötchen, das zu diesem Anlass gebacken und dessen Erlös für einen guten Zweck gespendet wird, der dann auch wieder nicht richtig ist. Und kein Dinkelgoldkunst …
Hinter mir hat sich eine Schlange gebildet. Eine weitere Bäckereifachverkäuferin eilt herbei und fragt: So, wo geht’s denn hier weiter?
Also, wenn Sie mich fragen, SO geht es GAR NICHT weiter! Erst der arme Luther auf den NPD Wahlplakaten und jetzt ein Reformationsbrötchen zu Gunsten von Misereor und damit lassen wir den Themenkreis Halloween noch komplett unberührt. Aber das sage ich nicht. Denn in diesem Moment fällt mein Blick auf die halben Brote unten in Regal.
-Ich sehe da noch ein halbes Dinkelgoldknust, sage ich, das hätte ich gern!