Pastor Hero Feenders (ehem. Generalsekretär der Deutschen Seemannsmission e.V.)
Rotenburg, 09.11.2008
Liebe Gemeinde!
Jeden Sonntag werden in Ihrer Gemeinde Waren angeboten, die fair gehandelt sind. D.h. die Produzenten bekommen Preise für ihre Waren, die sie wirklich wert sind. Die Menschen, die sie anpflanzen und ernten, oder herstellen, können von dem Ertrag leben. Dafür sind diese Waren auch teurer, als wenn sie von Konzernen eingekauft, vermarktet und in unseren Supermärkten landen. Denn die wollen möglichst günstig anbieten, drücken die Preise für die Produkte in den Ländern, aus denen sie zu uns kommen.
Christen haben ihre Verantwortung für die Schöpfung Gottes ernst genommen und den fernen Nächsten als ihre Partner erkannt. Daraus sind die Eine-Welt-Läden entstanden. WIR sind bereit, mehr für Güter und Produkte zu bezahlen, damit unsere Schwestern und Brüder in fernen Ländern leben und überleben können. Das nenne ich Verantwortung.
Fair gehandelt dort – fair verkauft hier – aber unter welchen Bedingungen werden denn diese fairen Güter und Produkte von dort nach hier transportiert? Was geschieht auf dem Weg?
95% aller Waren, die ein- und ausgeführt werden, kommen per Schiff zu uns und werden weltweit verteilt. Aber ein Schiff fährt eben nicht von alleine. Da leben und arbeiten Menschen drauf. Sie tragen die Verantwortung für den sicheren Transport. Und das heißt, sie müssen durch Stürme und raue See das Schiff so fahren, dass es keinen Schaden nimmt. Seeleute tragen die Verantwortung dafür, dass die Container nicht über Bord gehen, dass das Schiff in gutem Zustand bleibt und gepflegt wird. Sie sorgen dafür, dass die Technik, die dazu nötig ist, immer funktioniert. Seeleute tragen die Verantwortung für die Werte, die mit dem Schiff transportiert werden – und das sind oft mehrere Millionen Euro. Seeleute tragen die Verantwortung für den Wert des Schiffes – und das sind noch mal mehrere Millionen Euro.
Der Kapitän eines großen und voll beladenen Containerfrachters fährt Werte von 100 Millionen Euro über See. Und das mit einer international zusammengesetzten Besatzung von 17 oder 23 Mann. Und das müssen sie tun 24 Stunden am Tag - 7 Tage die Woche. Da sind 150 – 200 Überstunden im Monat schnell angesammelt. Und der Lohn dafür? Ein einfacher Seemann bekommt 1000 $ bar auf die Hand, inkl. 150 Überstunden. Der Urlaub ist damit abgegolten. Ein europäischer Kapitän bekommt 6000 – 7000 $ bar auf die Hand, inkl. 100 Überstunden, der Urlaub ist damit abgegolten. Das klingt gut. Aber in der Zeit nach dem Vertrag haben Seeleute dann so lange kein Einkommen, bis sie wieder einen neuen Vertrag bekommen. Und das kann schon mal dauern.
Der Apostel Paulus ist selbst zur See gefahren, als Passagier auf einem Frachtschiff von Griechenland nach Malta. Er weiß, wovon er schreibt, dass Christen „Kinder des Lichtes“ sind. Denn bei der Überfahrt, die mit Schiffbruch endete, war ER es, der den Seeleuten Mut gemacht hat, nicht aufzugeben. Paulus selbst hat sich niemals durch widrige Umstände davon abbringen lassen, seinen Glauben fahren zu lassen oder die Hoffnung zu verlieren. Er macht der Gemeinde in Saloniki, einer Hafenstadt im Norden Griechenlands, schlicht Mut und stärkt ihnen den Rücken, wenn er sagt: „Ihr alle seid Kinder des Lichtes und des Tages“. Und das heißt doch, dass es keine Heimlichkeiten und Mauscheleien zwischen ihnen geben kann. Da herrscht ein Klima des Vertrauens, der Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit, in dem Jeder und Jede sehen und wahrnehmen kann, wie es um den Anderen steht. Keiner muss sich aus irgendeinem Grund verstecken. Fragen und Freuden liegen offen. Die Menschen dieser Gemeinde richten sich gegenseitig auf, weil sie angetan sind „mit dem Brustpanzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung auf Rettung“.
Ich glaube tatsächlich, dass Menschen, die so miteinander leben wollen, etwas brauchen, das sie schützt. Denn wer an diesen Jesus Christus glaubt, ist angreifbar.
„Warum setzten Sie sich für die Seeleute so ein?“ werde ich gefragt. „Denen geht es doch gut – sie haben einen Arbeitsplatz und verdienen gutes Geld. Tun Sie doch nicht immer so, als wären das arme Teufel!“
Nein, das sind sie wirklich nicht. Aber sie verdienen unsere Aufmerksamkeit, weil sie dort arbeiten und leben, wo sie niemand sieht – in den Häfen, die abgeriegelt sind, weit weg von den Städten liegen, Tag und Nacht arbeiten – Samstag und Sonntag und Feiertags. Seeleute können nur schwer den Kontakt zu ihren Familien halten, denn wo im Hafen steht eine Telefonzelle und wer gibt ihnen das nötige und passende Kleingeld dazu? Und wen kümmert es dann schon, wenn mitten auf See das Heimweh kommt, weil es schon wieder nicht geklappt hat, mit Frau und Kind telefonieren zu können und weil kein anderer in der Besatzung meine eigene Sprache spricht? Wer nimmt denn wahr, wie einsam es ist, wenn 2 Menschen miteinander Monat für Monat Dienst tun müssen, die sich schwer tun, miteinander aus zu kommen? Ein Ausweichen, Tauschen der Dienste oder Entrinnen gibt es nicht! Denn es sind nur die Seeleute an Bord, die ihre ganz persönlichen und festgelegten Aufgaben zu erfüllen haben. Und wenn da Einer ist, der dieser Aufgabe nicht nachkommt oder sie nicht gut erfüllt, gefährdet er damit den Betrieb des Schiffes und damit das eigene und das Leben der anderen obendrein. Weil dieses Wissen und die Bedingungen an Bord das Leben des Einzelnen belasten, darum steht die SM für den Seemann ein, ist ihnen ein verlässlicher Ansprechpartner und sieht sie dort, wo sie sonst kaum gesehen werden.
Wenn wir aus christlicher Verantwortung dafür eintreten, dass es auf dieser Einen Welt fair zugehen soll und das beispielhaft am fairen Handel tun, dann möchte ich die Frage weiter fassen und den Transport mit einbeziehen. Unter welchen Bedingungen kann davon gesprochen werden, dass der Transport fair ist?
Und das sollen keine Bedingungen sein wie auf einem Kreuzfahrtschiff mit Balkon und Shopping-Center. Aber gehören dazu nicht –wie an Land auch- regelmäßige Ruhephasen, in denen der Seemann kreativ die Zeit füllen kann mit Freizeitangeboten? Gehört nicht auch dazu ein Angebot, regelmäßig mit den Familien Kontakt haben zu können? Wäre es nicht vorstellbar, die Fahrenszeiten so zu regeln, dass die Entfremdung des Seemanns von seiner Familie nicht eine ständige Bedrohung der Beziehung in sich trägt? Was könnte auf dem Schiff geschehen, damit der Seemann alle seine Fähigkeiten, die er in sich trägt, leben kann und sich nicht ausschließlich auf das reduzieren muss, was seine genuine Aufgabe ist? Wie kann seine Würde als Person gewahrt und gefördert werden?
Das wären einige Fragen, die umschreiben, was wir uns vorstellen, wie fairer Transport auf See aussehen könnte. „Denn Gott hat uns dazu gesetzt, das Heil zu gewinnen.“, sagt Paulus.
Heil sein meint aber doch, als Mensch mit Allem, was ich habe und kann, wahrgenommen zu werden. Heile sein heißt, diese vielen Fähigkeiten und Begabungen auch leben zu können. Wenn ein Mensch ausschließlich auf seine Funktion und seinen Arbeitseinsatz reduziert wird, zerbricht das Heil. Es wird Unheil daraus. Das gilt es, zu vermeiden.
Es ist unsere Aufgabe als Christen in der Gemeinde und überall dort, wo wir Menschen begegnen, für das Heil des Menschen einzutreten. Für die SM sind das die Seeleute ohne Ansehen der Rasse, Hautfarbe, Religion und Nationalität.
Sie verdienen es, von uns gesehen und in der Fürbitte begleitet zu werden.
Sie verdienen es, dass wir uns um ihr Heil Sorgen machen, denn sie sollen ihre Würde gewahrt wissen – durch uns, wenn sie selbst auf See dazu nichts beitragen können. Gott will das so und gibt uns dazu „den Brustpanzer des Glaubens und der Liebe.“
Amen