Lass mich am Morgen hören deine Gnade; denn ich hoffe auf Dich.
Tu mir kund den Weg, den ich gehen soll; denn mich verlangt nach dir.
Psalm 143,8 (Lutherbibel)
Die Nacht erscheint endlos, an Schlaf ist nicht zu denken. Ein Seemann aus den Philippinen sorgt sich um die Zukunft seiner Kinder, ein anderer um die Gesundheit seiner Eltern. Ein Koch aus Kamerun sehnt sich nach seiner Familie. Besonders fern der Heimat gibt es Zeiten, in denen die Nacht voller Schatten ist. Liebeskummer oder Heimweh lässt Menschen an Bord nicht schlafen, genau so wie Geldnot, Streit oder Leistungsdruck. Aber auch nach einer durchwachten Nacht kommt der Morgen, und ein neuer Tag bricht an. Manchmal hilft schon das Tageslicht, die inneren Schatten zu vertreiben, auch wenn damit nicht alle Probleme gelöst sind. Woher kommt die Kraft, nicht zu verzagen, sondern an jedem Morgen aufzustehen und weiter zu machen? Der Monatsspruch für Januar antwortet darauf in besonderer Weise, nämlich in Form eines Gebets: „Lass mich am Morgen hören deine Gnade, denn ich hoffe auf dich.“
Die Betenden des 143. Psalms sind in ständigem Gespräch mit Gott, von ihm erhoffen sie Gnade, Segen und Kraft. Sie vertrauen darauf, dass Gott ihnen den Weg zeigt, gerade in Krisen und Ängsten.
Es gibt Zeiten, in denen auch ich wach gehalten werde durch Sorgen um Familienmitglieder oder Freunde. Oft denke ich auch an die Menschen, die ich auf meinen Reisen kennen gelernt habe, Geschwister in christlichen Gemeinden in Namibia, in Indien, in den USA und an vielen anderen Orten der Erde. Auch ihre Probleme lassen mich manchmal nicht los, Nachrichten von Dürre oder Überschwemmungen, von Diskriminierung oder Finanzkrisen. Dann kommt mir eine Liedstrophe in den Sinn. In dem Lied „Der Tag, mein Gott, ist nun vergangen“ (EG 266) wird gesungen: „Die Sonne, die uns sinkt, bringt drüben den Menschen überm Meer das Licht, und immer wird ein Mund sich üben, der Dank für deine Taten spricht.“ Wenn die Schatten der Nacht mir noch mächtig erscheinen, hören Menschen in anderen Ländern schon Gottes Gnade am Morgen. Gebete und Lieder wandern von Zeitzone zu Zeitzone und Land zu Land. So bin ich mit vielen Menschen in der Welt verbunden in einem großen Beziehungsnetz, das gewoben ist aus Gottes Liebe und Gnade. Aus dieser Kraft lebe ich und beginne den neuen Tag mit Zuversicht.
Vizepräses Petra Bosse-Huber
Düsseldorf
(ab Januar 2014 Bischöfin für Ökumene und Auslandsarbeit
der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover)