Seit einem halben Jahrhundert betreut das deutsche Seefahrerheim in Alexandria Matrosen. Kein Grund, den Posten aufzugeben, meint der scheidende Diakon Reinhard Hämmerle (Foto vom 31.08.2012 mit Ehefrau in Alexandria). Foto: epd bild - Julia Gerlach
Auch die Seele muss einmal vor Anker gehen
Deutscher Seemannsdiakon kümmert sich um die Matrosen in Alexandria
Alexandria, Bremen (epd). Es ist nicht einfach nur der Namen einer Stadt am Mittelmeer. Alexandria steht für den Glanz vergangener Zeiten, Seefahrerromantik, Spelunken mit Matrosen aus der ganzen Welt. Wenig ist davon geblieben. Die Stadt ist heute eine ägyptische Zwei-Millionen-Metropole mit modernem Containerhafen. Seeleute kommen nur noch selten in die Straßen der Stadt, sie bleiben auf ihren Schiffen. "Zumeist liegt das daran, dass die Reedereien oder Kapitäne Bedenken haben, denn seit der Revolution 2011 gilt Ägypten als Krisenland. Manchmal ist es auch einfach zu kompliziert, die Landgangsgenehmigung von den ägyptischen Behörden zu bekommen", sagt Reinhard Hämmerle.
Der 53-Jährige hat sieben Jahre lang das deutsche Seefahrerheim von Alexandria geleitet, eine Einrichtung der Deutschen Seemannsmission der evangelischen Kirche, die ihren Sitz in Bremen hat. Ende Juni kehrt er nun nach Deutschland zurück. Er freut sich, aber es ist auch ein trauriger Abschied. Denn noch ist nicht in allen Details geklärt, wie es in Alexandria weitergeht. Zwar ist sein Nachfolger bereits benannt, er tritt zum 1. September sein Amt an. Doch es steht die Zustimmung des Auswärtigen Amtes aus, die Arbeit wie bisher zu unterstützen.
Das Seefahrerheim ist in einer Villa in einer ruhigen Seitenstraße untergebracht. Notenständer für Musikabende, Tischtennisplatte und gemütliche Sitzgruppen stehen bereit. Früher war dies ein Ort, auf den die Seeleute sich schon Meilen vor Alexandria freuten, ein Stück Zuhause in der Ferne.
Aber die Arbeit hat sich geändert: "Da immer weniger Seeleute in die Stadt kommen, gehe ich umso mehr auf die Schiffe", sagt Hämmerle. Der Seemannsdiakon macht täglich seine Runde, schaut, ob unter den eingelaufenen Schiffen welche von deutschen Reedereien oder mit deutschen Seeleuten an Bord sind. "Die werden natürlich immer seltener, aber es gibt sie noch. Und sonst freuen sich ja auch andere Seeleute über Besuch".
Hämmerle verbringt viel Zeit in den Messen der Schiffe, trifft Seemänner, die gerade in der Pause sind. Oft laden sie ihren Frust bei ihm ab. Die Hafenbehörden in vielen Ländern seien korrupt, die Beamten geldgierig. "Neulich hatte ich einen, der war darüber so sauer, der sagte, er wolle ein Maschinengewehr, um alle zu erschießen". Als Seelsorger ist es seine Aufgabe, beruhigend auf die Leute einzuwirken. Wobei viele Seeleute - gerade die europäischen - mit Religion wenig anfangen könnten. Für sie seien eher praktische Tipps gefragt.
Seit sieben Jahren ist Hämmerle in Alexandria, und er hat gelernt, dass es nur selten weiterhilft, wenn man sich aufregt: "Wenn man die Beamten beschimpft, erreicht man gar nichts. Man muss cool bleiben und einen Kompromiss finden", sagt er. Manche Seeleute plagt auch Angst. Alexandria ist für viele Schiffe Zwischenstopp auf der Route durch den Suezkanal und dann weiter am Horn von Afrika vorbei: Piratengebiet.
"Jetzt ist es etwas sicherer, aber eine Zeit lang traf ich oft Seeleute, die schon von Piraten angegriffen wurden", berichtet Hämmerle. Besonders gefährdet sind kleinere Frachter. "Manche haben dann mit Stacheldraht versucht, ihre Schiffe zu sichern, aber das bringt wenig", sagt er. Der Einsatz von bewaffneten Sicherheitsleuten sei schon eher geeignet, die Seeleute zu beruhigen.
Auch die afrikanischen Flüchtlinge, die in kleinen Booten versuchen, das Mittelmeer zu überqueren, sind ein Thema in den Messen der Frachtschiffe: "Natürlich müssen die Besatzungen helfen, wenn sie in der Nähe eines Flüchtlingsbootes sind, das in Seenot gerät", sagt Hämmerle. Aber er bekommt von den Seeleuten auch zu anderes hören: "Solche Rettungsaktionen sind sehr unbeliebt, denn dann muss das Schiff seinen Kurs ändern und kommt aus seinem Zeitplan". Viele Reedereien machen Druck.
Immer wieder wird die Frage aufgeworfen, ob in Zeiten, in denen weniger deutsche Seeleute unterwegs sind, ein deutsches Seemannsheim in Alexandria eigentlich noch zeitgemäß ist. "Ich bin der einzige hier in Alexandria, der sich in dieser Form um die Seeleute kümmert", entgegnet darauf Hämmerle. "Und wenn keine deutschen Seeleute da sind, dann gibt es genügend andere, die ein offenes Ohr und religiösen Zuspruch gebrauchen können."