Weihnachten – ein Fest für alle
Heilig Abend 2004, Weihnachtsansprache des Generalsekretärs der Deutschen Seemannsmission, Pastor Hero Feenders
Liebe Gemeinde !
In diesen Tagen gerät die Welt nicht aus den Angeln. Die Geburt Jesu ist zunächst nichts Aufregendes. Alles geht seinen geregelten Gang. Damals bei Maria und Joseph ist das so gewesen und bis heute hat sich daran nichts verändert. Es entsteht keine Aufregung wegen der Geburt Jesu, und die Aufmerksamkeit der Menschen hat eigene Schwerpunkte.
Und dennoch ist die Welt in diesen Tagen eine andere als sonst, stelle ich fest. Die Menschen sind anders gestimmt. Ganz unscheinbar verändert sich da was. Ich möchte es so beschreiben: eine Ahnung geht um die Welt, dass unsere Erde auch anders aussehen könnte. In besonderer Weise spüren viele Menschen, dass das Leben nicht nur aus Arbeit, Geschäft, Beruf, Stress oder Sorgen um die Zukunft besteht. Es leuchtet in unser Leben etwas hinein in diesen Tagen, das in uns andere Klänge anstimmt, als sonst im Alltag.
Das kommt darin zum Ausdruck, dass sich viele Menschen Gedanken machen, wie diese Tage besonders gestaltet werden können. Weihnachten soll anders sein, als ein Sonntag oder Feiertag. Es soll noch etwas Neues dazu kommen, das es sonst nicht noch einmal im Jahr gibt. Dafür wird Viel bewegt und nachgedacht.
Bei uns in Deutschland werden die Zimmer fein herausgeputzt, besondere Kuchen werden gebacken, Weihnachtsschmuck wird in die Fenster gehängt, Kerzen aufgestellt; kurz: die Stimmung soll gut werden. Es soll ein schönes Zuhause sein. Harmonie und Frieden soll diese Tage in den Familien bestimmen.
In anderen Ländern wird um den Weihnachtsbaum getanzt; es wird gesungen oder musiziert. Die Familien kommen zusammen, auch die Nachbarn werden dazu geladen. Jedes Land, jede Kultur bringt in die Weihnachtszeit ihr ganz Eigenes mit dazu. Es ist ein besonderes Erleben in dieser Zeit und im Gestalten dieser Tage. Das erhoffe ich gerade für Sie, liebe Seefahrer.
Auch an Bord wird vielfach Besonderes für Sie geboten. Die Messe wird besonders dekoriert und es gibt ein Essen, das es sonst nicht gibt. Sie sitzen vielleicht länger als üblich zusammen und dabei wünsche ich Ihnen, dass Sie Gelegenheit haben, in der Weise Weihnachten zu feiern, wie Sie es von zuhause aus gewohnt sind.
Und wenn das nicht gehen kann, dann möchte ich Ihnen Mut machen, den andern Besatzungsmitgliedern darüber zu erzählen, wie Sie in Ihrer Heimat das Weihnachstfest zu feiern gewohnt sind. Sitten und Gebräuche anderer kennen zu lernen führt auch dazu, sich als Menschen besser zu verstehen.
Solche Unterschiede und Verschiedenheiten sind wichtig und sie voneinander zu kennen, ist reizvoll.
In der Geschichte der Geburt Jesu kommen Menschen in den Stall aus ganz unterschiedlichen Kulturen und Traditionen.
Die Hirten auf dem Feld sind eigenwillige Kerle, denen das Leben nicht leicht gemacht wird. Tag und Nacht sind sie mit den Herden unterwegs und haben ständig auf der Hut zu sein vor Angriffen wilder Tiere, die ihre Schafe reißen wollen. Damals galten die Hirten als verwegene Typen, denen nichts Gutes nachgesagt worden ist. Und besonders fromm werden sie wohl auch nicht gewesen sein. Wenigstens waren die Synagogen für sie nur schwer zu erreichen. Aber diese Menschen erfahren als Erste von dem, was in Bethlehem geschehen ist. Sie gehen hin und staunen. Sie werden die ersten Zeugen der Geburt Jesu und werden es weitersagen.
Das wird ihnen von Engeln gesagt, die am Himmel erscheinen. Diese Wesen sind ja total entgegengesetzt zu den Hirten. Sie sind nicht bodenständig, handfest oder stehen im Gerede der Menschen. Die Engel kommen direkt von Gott selbst. Sie strahlen mit ihrem Licht in die Dunkelheit der Felder von Bethlehem und versetzen den Hirten einen großen Schrecken. Sie sprechen und singen vom Himmel herunter und bringen eine Botschaft in die Welt, die sich bald wie ein Lauffeuer ausbreiten wird: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden.“ Diese Melodie klingt in den Ohren so neu. Und ich höre die Botschaft in Harmonie und voller Zartheit: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird. Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr!“
Später erscheinen noch die drei Weisen aus dem Morgenland. Das sind Männer in prächtigen Gewändern. Sie wirken in dieser Umgebung auf dem Feld und an der Krippe irgednwie fremd. Die Schönheit und Pracht ihrer Gewänder scheint die Ärmlichkeit des Stalls zu erdrücken. So recht wissen die Drei auch nicht, wie sich verhalten sollen. Sie bringen ihre Kostbarkeiten aus ihrer Heimat mit, von denen die Hirten noch nie etwas gehört und gesehen haben werden, und auch Maria und Joseph staunen. Die drei Weisen sind reiche Herrscher und stehen auf einer ganz anderen Seite des Lebens als die Hirten und Maria und Joseph.
Und Joseph ist dabei. Er ist ein unscheinbarer Mann, der - so scheint es - das ganze Geschehen um und mit Maria und dem Kind nicht so recht verstehen kann. Er ist nicht unbeteiligt, das nicht ! Er sorgt ja schließlich für den sicheren Weg nach Bethlehem und kümmert sich darum, dass Maria in dem Stall ein wenig Wärme und Ruhe finden kann während und nach der Geburt. Dennoch redet er kein Wort, sitzt ein wenig abseits in Gedanken versunken und begleitet das Geschehen in sicherer Entfernung. Er greift nirgends ein und liebkost weder Maria noch das Kind. Er erscheint als ein Mann, der eine tiefe Ahnung von Gottes Handeln an Maria hat. Die Größe Gottes läßt ihn still werden und ehrfurchtsvoll verharren. Er, Joseph, der als Zimmermann ein bescheidenes Leben führt, ein unauffälliger und frommer Jude, übernimmt im Plan Gottes eine wichtige Rolle an der Seite Marias mit dem Kind.
Und schließlich ist Maria mit dem Kind da. In vielen Darstellungen des Stalls und der Krippe bilden Beide keine Einheit. Das Kind liegt in der Krippe und Maria sieht es freudig, bewundernd an. Sie trägt es nicht auf dem Arm, um es zu wärmen oder zu beschützen. Sie läßt ihr Kind in der Krippe, läßt es bewundern und anbeten. Dennoch ist eine größere Nähe von Maria zu dem Kind zu erahnen, als Joseph sie zeigen kann. Mit ein wenig Stolz und Dankbarkeit scheint Maria das Christkind den Menschen zu zeigen, die nun nach und nach zum Stall kommen. Und sie alle verehren, bestaunen und beschenken das Kind auf ihre ganz eigene Art und Weise.
Bereits an der Krippe erscheinen unterschiedlichste Menschen und treten aus ihren verschiedenen Kulturen mit ihren Eigenheiten ganz wie selbstverständlich auf.
Das wird im Laufe des Lebens dieses Kindes Jesus zu seinem Markenzeichen werden. Er hat für Alle und Jeden ein offenes Ohr, einen wachen Blick und ein liebendes Herz. Das kann der römische Soldat genauso sein wie der Pharisäer oder ein Mann aus Samaria wie der Samariter es war. Die Kranken und Ausgestoßenen wird dieses Kind später als Mann in ihrer Not sehen und weiterhelfen.
Jesus begegnet Frauen in ganz unterschiedlichen Lebenslagen wie der Sünderin und Ehebrecherin, oder Maria und Martha, die beide um die Anerkennung Jesu wetteifern; er begegnet ihnen wie selbstverständlich, ohne Appelle oder Vorschriften. Geltende Regeln und Gesetze wird er unbeachtet lassen, wenn das Wohl eines Menschen auf dem Spiel steht.
Bei Jesus erfährt jeder Mensch das Mass an Liebe und Gerechtigkeit, an Verständnis und Hilfe, das gerade dieser Mensch jetzt nötig hat. Die Verschiedenheiten sind gewollt, und Jesus gibt ihnen ihre eigene Berechtigung zurück.
Genau damit haben sich damals viele Menschen in Israel schwer getan und haben Jesus dafür angegriffen, verfolgt, verraten und schließlich ans Kreuz gebracht. Aber durch sein Leben hat er in diese Welt dieses Zeichen gesetzt, das nicht mehr wegzudenken ist: die Vielfalt und Verschiedenheit der Menschen und Kulturen, die sich schon an seiner Krippe ein Stelldichein geben, sind sein Volk, das er liebt und bewahren möchte – Gottes Kinder aus Schwestern und Brüdern.
Davon sind bis heute viele Menschen berührt. Und in diesen Tagen der Weihnacht trifft dieses Zeichen in die Herzen vieler Menschen. Sie lassen sich davon verwandeln, und verwandeln sich selbst und einige Äußerlichkeiten zum Zeichen dieser großartigen Liebe, die grenzenlos und ohne Vorbehalt jeden Menschen annimmt und ehrt.
Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest an Bord.
Amen