Festmachen 2016: Gedanken zur Jahreslosung
Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland, Berlin
Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.
Jesaja 66,13 (Lutherbibel)
Vielleicht haben Sie auch schon die Erfahrung gemacht, dass das gut gemeinte „Kopf hoch, das wird schon wieder“ nicht wirklich froh stimmt, sondern eher einen schalen Geschmack des Nicht – Ernst – Genommen – Werdens hinterlässt. Wenn Sie schon einmal einen „Trostpreis“ oder ein „Trostpflaster“ ergattert haben, wissen Sie, wie heikel sich unsere Erfahrungen mit dem Trösten anfühlen können. Alles, was über wirklich erlebte Trauer und Trostlosigkeit hinweg nur vertrösten soll, ist eben kein wirklicher Trost. Das vorschnelle „ Kopf Hoch!“ nicht, das schnelle Bonbon nicht, und das dritte Bier auch nicht.
Der echte, sich zuwendende Trost einer guten Mutter oder eines guten Vaters zeichnet sich dadurch aus, dass er den Schmerz oder den Verlust mit der trauernden Tochter und dem untröstlichen Sohn zusammen aushält. Wer trösten möchte, möchte nicht vertrösten. Trost verspricht nicht vorschnell das Ende des Schmerzes. Trost kann gerade darin bestehen, den Schmerz oder die gefühlte Ohnmacht ernst zu nehmen. So kann er die Getrösteten befähigen, sich der Realität nicht zu entziehen, sondern in und mit ihr zu leben.
Solchen Trost verheißt der Prophet Jesaja. Dem Volk Israel sagt er in der Not nicht jenes vielbesagte Lichtlein zu, das immer dann von irgendwoher kommt, wenn du meinst, es geht nicht mehr. Für Jesaja hat der Trost einen tragenden Grund: Die Erfahrung der Anwesenheit Gottes. Wie die bloße Anwesenheit der Mutter ein Kind trösten kann, so tröstet Gottes erfahrene Wirklichkeit. Das hebräische Wort für „trösten“ bedeutet auch „aufatmen lassen“. Trost wird erfahren, wie die zweite Luft zum Atmen; er bringt etwas wieder zum Fließen, macht weit, was vorher wie zugeschnürt war. Jesaja erlebt Gottes Anwesenheit und seine befreiende Zusage in diesem Sinne als weitend und als tröstend: „Ich breite den Frieden aus wie einen Strom“ (Jesaja 66,12).
Bei meinem eindrücklichen Besuch der Seemannsmission in Hamburg habe ich vor einigen Monaten die Angebote der Seemannsmission als Orte kennengelernt, an denen Seeleute aus aller Welt durchatmen können. Hier weht ein anderer Wind als an Bord. Hier treffen sie auf Menschen, die einfach da sind und zuhören, anstatt direkt mit Anweisungen zu kommen. Hier finden sie nach dem Lärm der Maschinenräume Räume der Stille, an denen Menschen aus allen Weltreligionen Andachtsmöglichkeiten in unterschiedlichsten Schriften und Sprachen finden, bevor es wieder zurück in den Bordalltag mit seinen hochbelastenden Arbeitsbedingungen geht. Ich danke allen Mitarbeitenden der Seemannsmissionen sehr herzlich für Ihren wichtigen Dienst und wünsche auch Ihnen wie den Seeleuten, dass Sie getrost in das Jahr 2016 „ schippern“.
Ulrich Lilie
Präsident der Diakonie Deutschland
Berlin