Lukas 2,20, Pfarrer Jürgen Kanz

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„Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.“ (Evangelium des Lukas Kapitel 2, Vers 20)

Liebe Seeleute,

als ich diesen Vers las „und die Hirten kehrten wieder um“, stiegen sogleich eine Reihe von Bildern vor meinem inneren Auge auf.

Ich sah Sie als deutscher Kapitän, als philippinischer Seemann im Kreis Ihrer Familie, Ihrer Freunde. Und dann kommt der Tag des Aufbruchs, des Abschieds von Familie und Freunden: ein Tag voller gemischter Gefühle. Einerseits die Befriedigung „die Reederei und der Agent brauchen mich und meine Arbeitskraft“. Ich kann nach vorn sehen: für die nächsten Monate wird wieder ausreichend Geld in der Familienkasse sein. Prima.

Wenn da nicht das andere wäre: ich muß mich trennen, mich von denen verabschieden, an die ich gewöhnt bin. Gewöhnt im Teilen von schönen Stunden, aber auch gewöhnt im Streit und den Reibereien, die sich in jede Beziehung einschleichen. Wohin wird all die Energie, die dabei frei gesetzt wird, jetzt fließen? Ich muß mich losreißen, kann fragloses Glück und gute Tage nicht festhalten, so sehr ich es auch möchte. Vor einer Filmkulisse mag es dann heißen: „Das Meer ruft!“ Aber seien wir nüchtern: es ist wohl kaum das Meer. Es ist der Vertrag mit der Reederei und die Notwendigkeit, den Lebensunterhalt für die Familie zu verdienen.

Ja, ich denke, wir können die Hirten vor 2000 Jahren verstehen. Die hatten wahrscheinlich auch Mühe, sich von dem loszureißen, was ihnen gerade widerfahren war. Außerordentliches hatten sie erlebt. Man stelle sich vor: eine Handvoll Leute in einer dunklen Winternacht. Schläfrig und fröstelnd haben sie es schwer, ein wachsames Auge auf die Schafherde zu halten. Und dann diese Explosion von Licht zusammen mit himmlischem Gesang und einer Botschaft speziell für sie. Das hält man im Kopf nicht aus. Einen solchen Augenblick darf man doch nicht einfach loslassen!

Deshalb folgen die Hirten der ihnen gewiesenen Richtung: zum Stall, zum Kind in der Futterkrippe, zu Maria und Josef. Was sie dort wirklich gesehen haben, ist schwer zu sagen. Unsere Vorstellung ist durch die zahlreichen weihnachtlichen Gemälde aus vielen Jahrhunderten geprägt. Wir sehen eine Maria in prächtigen Faltengewändern, obwohl sie doch nur die Frau eines armen Zimmermanns war. Wir sehen ein strahlendes Kind in der Krippe – mit der Gloriole eines Heiligenscheins. Und über alledem schwebt eine Schar von Engeln –neugierig, singend, musizierend. Sahen das die Hirten damals auch so oder sahen sie die karge Wirklichkeit, die ärmliche, ernüchternde Realität? Wie dem auch sei: auf jeden Fall sahen sie durch die äußere Hülle hindurch. Wie es in unserm Vers heißt: „Sie hatten gesehen, wie denn zu ihnen gesagt war“. Für die Hirten zählte das Wort des Engels: „Euch ist heute der Retter geboren, welcher ist Christus, der Herr.“ Das war für sie der Augenöffner. So wurde der Stall zum Palast, die Krippe zum weichen Bett, die abgerissene Frau zur Himmelskönigin und der notdürftig gedeckte Dachstuhl zum Chorgestühl von Engeln. Vor allem aber: aus dem gerade erst geborenen Kind wurde der Retter und Herr der Welt. Die Hirten sahen durch die äußere Hülle hindurch, weil sie dem Wort des Engels glaubten, so wie es die mittelalterlichen Maler taten.

Ähnlich ergeht es uns in der Seemannsmission, wenn wir Seeleute oder auch uns selbst ansehen: Äußerlich ist vielleicht wenig Besonderes zu entdecken und doch halten wir uns an das Wort, daß jeder Mensch nach Gottes Bild geschaffen ist und ihm dadurch eine unauslöschliche Würde gegeben ist. Gleichgültig, ob er sich dessen bewußt ist. Gleichgültig, ob er sich wie ein Ebenbild Gottes benimmt. Vielleicht tun das sogar die wenigsten von uns. Das ändert an der gottgegebenen Würde des Menschen nichts. Deshalb hat sich die Deutsche Seemannsmission den Leitsatz gewählt: „support of seafarers‘ dignity“. Wir sehen uns in der Pflicht, Seeleute in ihrem Streben nach einem menschenwürdigen Leben zu unterstützen und da für sie einzutreten, wo sie in menschenunwürdige Lebens- und Arbeitsbedingungen geraten. Im übrigen – und das ist der größere Teil unserer Arbeit – geht es um ein Stück Begleitung der Seeleute in ihrem Alltag, um das Ermöglichen von ein paar schönen, bisweilen auch nachdenklichen Stunden weg von der Anspannung und dem Streß der Arbeit. Freude und Entspannung sind ein wesentlicher Teil eines menschenwürdigen Lebens.

Die Würde auch des Kollegen an Bord zu achten und – wenn nötig - zu schützen, ist nicht nur eine Aufgabe zu Weihnachten. Durch die Hülle der äußeren Erscheinung hindurchzuschauen, gerade auch im von mir Abhängigen das Ebenbild Gottes zu achten, ist eine dauernde Herausforderung


Zurück zu den Hirten: sie sind wieder umgekehrt zu ihren Schafen; sie haben durch die Hülle des ärmlichen Augenscheins hindurch geblickt. Und jetzt loben und preisen sie Gott. Nicht ganz einfach für uns, dies nachzuvollziehen. Wir müssen schon den Jubel nach dem Erringen eines Weltmeistertitels heranziehen, um zu begreifen, was damals abgegangen ist. Für heute wollen wir uns mit dem Lobpreis Gottes begnügen, der in unseren wunderschönen Weihnachtsliedern zu finden ist.

Frohe Weihnachten. •

Weihnachtsansprache des Generalssekretärs der Deutschen Seemannsmission, Pastor Jürgen R. A. Kanz / Von der Weihnachtskassette der DSM 2002



 

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